Die Ackerbauschule Botzlar
Im ausgehenden 18. Jahrhundert begründete im Zuge der Entstehung der Agrarwissenschaft Albrecht Daniel Thaer die „rationelle Landwirtschaft“. Die preußische Regierung erhoffte sich von Thaers fortschrittlichen Ansätzen positive ökonomische Effekte für die preußische Landwirtschaft. Nachdem man in Berlin zunächst auf eine rein akademische Vermittlung agrarwissenschaftlicher Erkenntnisse gesetzt hatte, entwickelte sich die Auffassung, dass nur die Verknüpfung theoretischen Wissens mit der praktischen Anwendung sinnvoll sei. Es entstand die Idee in den preußischen Provinzen in landwirtschaftlichen Musterbetrieben, in denen die rationelle Landwirtschaft erfolgreich betrieben wurde, entsprechende Lehranstalten zu errichten.
Das preußische Landwirtschaftsministerium wie auch das neu entstandene Landesökonomiekollegium sahen besonders im Münsterland einen großen Bedarf zur Errichtung einer derartigen Agrarschule. Man attestierte der dortigen Landbevölkerung zwar den nötigen Fleiß und Sittsamkeit, hielt sie aber für bildungsfern und rückwärtsgewandt und daher Innovationen wenig zugeneigt. Der Pächter Wilhelm Brüning, der gegen örtliche Widerstände den Gutsbetrieb auf Botzlar als fortschrittliche Landwirtschaft erfolgreich führte und einem Netzwerk innovationsfreudiger Gutsbesitzer- und Pächter angehörte, bemühte sich um die Errichtung einer Agrarschule in seinem Betrieb. Er bot sich dem Landesökonomiekollegium in Berlin als privater Betreiber einer Ackerbauschule an und bat um finanzielle Unterstützung dieses Projektes. Nachdem im Juni 1851 der Präsident des Kollegiums, Ludolph von Beckedorff, das Gut Botzlar besichtigt hatte, erhielt Brüning im Januar 1852 die notwendige behördliche Genehmigung und damit auch den Zuschlag für die staatliche Förderung.
Am 1. Oktober 1852 nahm die Schule auf Gut Botzlar unter der Aufsicht eines Kuratoriums ihren Betrieb auf. Die Schülerzahl war auf mindestens 14 bis 20 junge Männer im Alter von 15 bis 24 Jahren festgelegt. Bevorzugt wurden Schüler aus dem Regierungsbezirk Münster aufgenommen, gefolgt von Anwärtern aus Westfalen und danach aus den anderen preußischen Provinzen. Der überwiegende Teil der Schüler hatte einen landwirtschaftlichen Familienhintergrund. Ein weiterer Teil stammte aus Elternhäusern, die dem Beamtentum oder den freien Berufen angehörten. Die Schüler lebten für die Ausbildungsdauer von zwei Jahren auf Gut Botzlar und mussten für ihren Aufenthalt ein durchaus nennenswertes Lehrgeld zahlen. Zum Zwecke der Unterbringung der Schüler und Lehrer wie auch der Schulungsräume ließ Wilhelm Brüning einen auf der Rückseite des Gutshauses bereits bestehenden Anbau erweitern.
Neben dem theoretischen Unterricht und der Mitarbeit in der Landwirtschaft, war auch die Heranführung an eine dem bäuerlichem Stande entsprechende sittsame Lebensweise Bestandteil der Ausbildung. Der umfangreiche Lehrplan umfasste ein weites Spektrum wie beispielsweise Boden- und Düngekunde, Tierhaltung und -zucht, Anbaumethoden und Handhabung landwirtschaftlichen Gerätes, Obst- und Gartenbau, Forst- und Betriebswirtschaft sowie auch Chemie und Physik. Da die Feldarbeit im Winterhalbjahr weitgehend ruhte, überwog in dieser Zeit der theoretische Unterricht. Im Sommer begann der Unterrichtstag um vier Uhr und endete, unterbrochen von einer Mittagspause, um 19 Uhr. Der Unterricht wurde vom Direktor und einem studierten Lehrer erteilt. Zudem unterwiesen ein Tierarzt und ein Gärtner aus dem Umfeld die Schüler in den entsprechenden Fachgebieten.
Zum Gutsbetrieb Botzlar gehörten 500 Morgen Land (ca. 128 Hektar), von denen 300 auf Äcker und 80 auf Wiesen entfielen, zudem sollten 90 Morgen gerodet und in Ackerflächen umgewandelt werden. Die übrigen 30 Morgen umfassten die Hofstelle, Gebäude, Gärten, Teiche und Wege. Neben dem Gutshaus befanden sich auf Botzlar drei größere Wirtschaftsgebäude, in denen auch eine Korn- und Kartoffelbrennerei betrieben wurde. Hinzu kamen ein Holzschober, zwei Kornsiemen sowie eine Öl- und eine Kornmühle. Zum Tierbestand gehörten acht Pferde und vier Ochsen als Zugtiere, 30 bis 40 Kühe, 200 Schafe und 50 bis 100 Schweine. 1855 beschäftigte das Gut acht Knechte, vier Mägde, einen Hofjungen und einen Schäfer.
Trotz intensiver Bemühungen Brünings und Unterstützung durch den westfälischen Oberpräsidenten von Duesberg wie auch des landwirtschaftlichen Hauptvereins nahm mit den Jahren der Anteil von Schülern mit landwirtschaftlichen Familienhintergrund immer weiter ab. Der Verzicht auf die Arbeitskraft des Sohnes im eigenen Betrieb, als auch Zweifel an der angemessenen sittlichen Erziehung in der Einrichtung, werden in den Quellen als Gründe genannt. So verfehlte die Agrarschule Botzlar zunehmend die eigentliche Zielgruppe.
Während in der Gründungszeit der Agrarschule Botzlar die verantwortlichen Stellen in Berlin dem Modell einer staatlich subventionierten Privatschule den Vorzug gaben, wandelte sich im Vorfeld der Reichsgründung diese Auffassung hin zur Errichtung von staatlich betriebenen Schulen. Mit der Eröffnung der staatlichen landwirtschaftlichen Schulen in Herford (1868) und Lüdinghausen (1869) schloss die Ackerbauschule Botzlar 1869 ihre Pforten.
Quellen und Literatur
Amtsblatt für den Regierungsbezirk Münster / Hrsg.: Bezirksregierung Münster, 1852, Nr. 29 vom 17. Juli 1852, S. 194ff. – Online-Ausgabe: Univ.- und Landesbibliothek, 2013, urn:nbn:de:hbz:6:1-55815. –
Gewitzsch, Dieter: Ackerbauschule Botzlar 1852-1869. Ortsgeschichte nach Aktenlage im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, Selm 2021. Online-Ausgabe unter https://aktenlage.net/edition-plattes-land/
Märtin, Boto, „Thaer, Albrecht Daniel“ in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 72-74 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118621513.html#ndbcontent